Hymne au soleil
Unser Programm spannt einen Bogen zwischen der unermesslichen Schönheit der Natur und ihrer ungezähmten, mitunter bedrohlichen Kraft. Die Sonne, Ursprung allen Lebens, schenkt uns Licht und Wärme – doch die Natur kann uns ebenso in Angst und Schrecken versetzen. Vertrauen und Furcht liegen so nah beieinander wie Leben und Tod. Und in allem offenbart sich eine unendliche Liebe. Die Komponistinnen und Komponisten dieses Abends haben auf ihre Weise die lichte und die dunkle Seite des Daseins in Musik gefasst – jede und jeder in der eigenen, zeitgebundenen Sprache. Welche Bilder entstehen vor Ihrem inneren Auge, welche Emotionen weckt die Musik in Ihnen, wenn Sie sich auf diese musikalische Reise begeben?
Boulangers Werke sind eingebettet in die einstimmigen Gesänge Hildegard von Bingens. Ihre Musik, getragen von spiritueller Weite, durchdringt das Ringen mit der menschlichen Endlichkeit. Sie offenbart zugleich eine tiefe Gewissheit: Alles in der Natur wirkt zusammen, gehalten von einer ewigen, göttlichen Kraft, die ganz und gar von Liebe erfüllt ist.
Zu Beginn des Programms entführen uns drei Stücke aus Haydns "Jahreszeiten" in den Wechsel von Staunen und Bedrohung. Die Sonne steigt empor, erfüllt die Welt mit Licht – doch nach der friedlichen Stille eines Sommertags bricht plötzlich ein Unwetter herein, entfesselt die Kräfte des Himmels und erschüttert die Erde. "Weh uns!" – die Natur zeigt ihre ungestüme Macht, und wir fragen: "Wo ist Rettung? Wohin fliehen wir?"
Rheinbergers "Abendlied" bringt eine tröstende Antwort: "Bleib bei uns", wenn das Licht schwindet und Dunkelheit uns umfängt. Dieser sanfte Übergang mündet in den innigen Trost von Mendelssohns "Denn er hat seinen Engeln befohlen" aus dem "Elias". Die romantische Klangsprache macht die in Boulangers und Hildegards Werken besungene Liebe unmittelbar erfahrbar.
Den krönenden Abschluss bildet Haydns "Schöpfung". Mit überschwänglichem Jubel preist sie die wohlgeordnete Welt, den ewigen Wechsel von Licht und Dunkelheit, Tag und Nacht. Der Mensch steht inmitten dieses unfassbaren Wunders – staunend, ehrfürchtig und voller Dankbarkeit. Vielleicht gelingt es der Musik wie keinem anderen Medium, diese Spannung zwischen Schönheit und Bedrohung auszudrücken und uns zugleich auf geheimnisvolle Weise eine Antwort zu schenken, indem wir mit ihr in Resonanz treten.
Antje Martin Pfarrerin Reformierte Kirchgemeinde Bülach